Dr. f. Zeidlcr.
DIE KORALLE
SCHAUSPIEL IN FÃœNE AKTEN
VON
GEORG KAISER
S. F I S C H E R
VERLAG
19 17
BERLIN
7828fi.-.
DEN BÃœHNEN UND VEREINEN GEGENÃœBER ALS MANUSKRIPT
GEDRUCKT. ALLE RECHTE VORBEHALTEN, BESONDERS DIE DER
ÃœBERSETZUNG. DAS AUFFÃœHRUNGSRECHT IST VON S. FISCHER,
VERLAG ZU ERWERBEN. COPYRIGHT 1917 S. FISCHER, VERLAG.
PERSONEN
Milliardär
Sohn
Tochter
Sekretär
Mufeumsdirektor
Arzt
Kapitän
Sängerin
der Herr in grau
der Mann in blau
die Dame in {chwarz
die Toditer in fdiwarz
das Fräulein in TafFet
der erfte 1 r». ,
, . / Richter
der zweite j
der Geiftliciie
die beiden Diener
der Schreiber
die beiden Wärter
der gelbe Heizer
der farbige Diener
Matrofen
[e]RSTE-R AKT
Ein ovaler Raum: »das heiße Herz der Erde«. In fehr heller
Wandtäfelung liegen die Türen unfichtbar: zwei hinten, eine
links. Nur zwei runde Seffel aus weißem Elefantenleder
ftehen mitten in großem Abftand gegenüber; der rechte mit
einem Signalapparat an der äußeren Wange.
In diesem Sessel fi^t der Sekretär: das Profil ift auf eine un^
beftimmte Art von {cheuer Energie. Straffes rötliches Haar
fteigt in fchmalem Streifen bis gegen das Kinn nieder. Der
Körper im Anzug von gröbftem Stoff ift klein; doch holt er aus
irgendeiner fortwährenden angreiferifchen Bereitfchaft, die mit
Anftrengung gebändigt wird, Wucht und Bedeutung.
Im andern Seffel das Fräulein in Taffet.
SEKRETÄR
Würden Sie nun —
DAS FRÄULEIN IN TAFFET
O idi verftehe Sie: — midi kurz faflen. Idi bin nidit
die einzige, die angehört fein will. Im Vorzimmer
drängen fidi die Menfdien — und vielleidit find ihre
Wünfdie bereditigter. Wer will das wifi'en ? Es gibt
Elend an allen Edcen der Erde. Ob meine Edce, an
die das Sdiidcfal midi zu ftellen für paffend befunden
hat, eine befonders windige ift —
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SEKRETÄR
Um das zu beurteilen, muß ich Ihr Schidkfal kennen.
DAS FRÄULEIN IN TAFFET
Die Hölle, mein HerrJ — Jawohl, die Hölle. Ich ver^
wende keinen extremen Ausdrude. Das ift meine Art
nidit. Oder kann man das beffer bezeidinen, wenn —
— Man ift Menfdi — man hat eine Mutter — an
Gott glaubt man Nein, mein Herr, diefe Fähig-
keit ift mir nidit abhanden gekommen — im Großen
und Ganzen niditl und — idi kann es nidit laut
fagen — : kaufe mir mein Brot mit meinem Leib 1
SEKRETÄR
Sudien Sie Aufnahme in ein Afyl?
DAS FRÄULEIN IN TAFFET
Wo Blumenftödee hinter den Fenftern leuditen — \
SEKRETÄR
zieht einen Sdireibblock aus der Tafdie und fdireibt.
Sie haben zwei Jahre Zeit, um über die Grundlage
einer neuen Exiftenz nadizudenken.
DAS FRÄULEIN IN TAFFET
Zwei — —
SEKRETÄR
gibt ihr das Papier.
Jedes Magdalenenheim fteht Ihnen heute offen.
DAS FRÄULEIN IN TAFFET
zugleich feine Hand faffend und küffend — hyfterilch.
Idi hatte meinen Kinderglauben nidit verkauft — Gott
war mir nicht feil — nun iucht er mich mit feinem
Boten — meines Gottes Bote — ich grüße Sie —
kniend nehmen Sie meinen glühenden Dank. Mehr —
mehr, Gott ielbft geht wieder unter uns — wir find
alle gerettet — halleluja amenl
SEKRETÄR
drückt auf das Signalbrett.
Sofort kommen von links zwei Diener — herkulifche Figuren --
in gelber Livree, Sie heben das Fräulein in Taffet auf und
führen es nach der Tür zurück.
DAS FRÄULEIN IN TAFFET
ekftatilch.
In ein Magdalenenheim — ich werde ein neuer
Mench — ein neuer Menlch — — 1 Die drei ab.
Der Mann in blau wird von den Dienern eingelaffen und in
den Seffel geführt. Diener ab.
SEKRETÄR
Würden Sie —
DER MANN IN BLAU
mit flößender Sprechweife.
Die Bruft —
SEKRETÄR
Suchen Sie Aufnahme in eine Heilanftalt?
DER MANN IN BLAU
den Kopf in die Hände vergrabend.
Weggefchickt bin ich, nachdem ich mich von Kräften
gearbeitet habe? — Bin ich ein alter Mann? Ich ftehe
in den heften Jahren — und fehe wie ein Greis aus.
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Der Anzug fchlottert um mich, den ich einmal ausfüllte
bis in die Nähte. Das Syftem hat mich ruiniert —
SEKRETÄR
Sie find Arbeiter?
DER MANN IN BLAU
Jeden ruiniert das Syftem - die unmenfdilidie Aus^
nü^ung der Leiftungsfähigkeit. Der Andrang i{t ja
groß genug — darum muß man Ichnell verbraucht
werden, um Pla^ zu fchaffen.
SEKRETÄR
Sie finden keine Be{chäfi:igung in Fabriken?
DER MANN IN BLAU
Schon am Fabriktor werde ich abgewiefen. Seit zwei
Wochen irre ich in den Straßen herum und habe das
Le^te aufgezehrt, was idi hatte. Je^t —
SEKRETÄR
Wir haben Landkolonien.
DER MANN IN BLAU
Die haben wir — ja. Die liegen drin im Land. Ich
kann nicht fo weit wandern.
SEKRETÄR
Die Kolonien find mit der Bahn zu erreichen.
DER MANN IN BLAU
Idi — habe das Fahrgeld nicht!
SEKRETÄR
zieht den Sdireibblock und fdireibt. Ihm das Blatt gebend.
Zeigen Sie draußen die Anweifung.
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DER MANN IN BLAU
lieft — fleht auf.
Das ift mehr — als das Fahrgeld? Stammelnd. Idi habe
Frau und Kinder idi kann fie mit mir nehmen —
— idi wollte fie verlafTenl
SEKRETÄR
drückt auf das Signalbrett.
Die beiden Diener kommen.
DER MANN IN BLAU
{chon nadh links laufend.
Meine Frau meine Kinderl Ab.
Die Diener fchließen hinter ihm die Tür — öffnen und laffen
die Dame in fchwarz mit der Tochter ein. Die Tochter trägt
einen Violinkaften.
DIE DAME IN SCHWARZ
zu den Dienern.
Danke — idi ftehe.
Die Diener ab.
SEKRETÄR
fteht auf.
Würden Sie —
DIE DAME IN SCHWARZ
ruhig.
Idi entfdiloß midi zu diefem Gang als Mutter meiner
Toditer. Vor einigen Monaten verlor idi meinen
Mann. Er hinterließ mir fo gut wie nidits. Es ift mir
gelungen, eine Stellung zu finden, die midi ernährt.
Allerdings würde idi niemals hinreidiend verdienen,
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um für die Ausbildung meiner Toditer zu forgen. Idi
habe Grund zu der Annahme, daß das Talent meiner
Toditer ihr eine Zukunft fidiert. Idi habe davon ab-
gefehen mir Attefte und Gutaditen zu ver0iaffen.
Das befte Zeugnis ihrer Befähigung ift ihr Spiel. Darf
fie fpielen?
SEKRETÄR
Idi denke, daß es audi Ihrer Toditer nodi größeres
Vergnügen nadi vollendeter Ausbildung bereitet.
DIE DAME IN SCHWARZ
Darf idi aus diefen Worten —
SEKRETÄR
fäireibt.
DIE DAME IN SCHWARZ
zur Toditer.
Küffe die Hand.
SEKRETÄR
gibt der Dame in Idiwarz das Blatt.
Erheben Sie das monatlidi bis zum Sdiluß des Studiums.
DIE DAME IN SCHWARZ
ohne zu lefen.
Dank wird Ihnen läftig fein, Sie hören ihn zu oft.
Die Menfdien muffen Ihnen erbärmlidi erfdieinen, Sie
madien zuviele glüddidi. Uns bleibt nur das Staunen
vor dem Wunder: daß es jemanden gibt, der fidi
nidit vor uns verldiließt, wenn wir mit unferm Kummer
zu ihm kommen. Uns alle anzuhören, das ift größerer
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Mut — als die Erfüllung unferer Bitten fchon unlag-
bare Güte iftl
SEKRETÄR
drückt auf das Signalbrett.
Die Diener kommen und führen die Dame in fdiwarz mit der
Tochter weg.
Auf dem Signalbrett (dinarrt eine Schelle.
SEKRETÄR
drückt fofort nochmals auf einen anderen Tafter.
Nur ein Diener von links.
SEKRETÄR
zu ihm.
Warten 1
Der Diener ab.
Aus der Tür rechts hinten, die eine dichte Innenpolfterung zeigt,
tritt raßäi der Milliardär ein. Jene früher gegebene ausführliche
Befchreibung des Sekretärs zielte nach dem Milliardär : der
Sekretär ift bis auf die geringfte Einzelheit nur fein Widerfpiel.
Noch in Sprache und Gefte ift die Ãœbereinftimmung vollkommen.
MILLIARDÄR
Die Bordlifte der »Meeresfreiheit«. Nadi der Aus-
fahrt geftern aufgenommen und heutemorgen mit
Funkfprudi hier gemeldet. Mein Sohn ift nidit unter
den Paflagieren genannt.
SEKRETÄR
lieft das Blatt.
Nur fein Begleiter.
MILLIARDÄR
Die Lifte ift unvollftändigl
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SEKRETÄR
Die Bordmeldungen pflegen genau zu ftimmen.
MILLIARDÄR
Wo ift mein Sohn, wenn fein Begleiter auf dem Dampfer
ift? Er muß mit der »Meeresfreiheit« reifen. Idi
habe es gewünfdit. Die Zeitungen hatten die Namen
der Paffagiere, die die erfte Klaffe belegt haben, ge-
bradit, meinen Sohn an erfter Stelle?
SEKRETÄR
Idi glaube nidit an einen Irrtum.
MILLIARDÄR
Er muß an Bord fein. Es gibt nur dies Sdiiff, auf
dem er reifen kann. Es war mein ausdrüd<;lidier Auf-
trag, den idi dem Begleiter fdiidcte, diefen fdinellften
und fdiönften Dampfer zu benu^enl Die Meldung
ift fehlerhaft. Se^en Sie fidi mit dem Sdiiffahrtskontor
in Verbindung. Fragen Sie an, wo der Fehler gemadit
ift. Ob an Bord — oder bei der Herftellung der Lifte J
SEKRETÄR
zögert.
MILLIARDÄR
Warten Sie am Telephon auf die Antwort.
SEKRETÄR
Es wird midi aufhalten —
MILLIARDÄR
Worin?
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SEKRETÄR
Es ift heute der »offene Donnerstag«
MILLIARDÄR
nachdenkend.
Der »offene Donnerstag« — —
SEKRETÄR
wartet.
MILLIARDÄR
kurz.
Fragen Sie an. Idi werde folange hier fein.
SEKRETÄR
gibt ihm noch den Schreibblocic.
MILLIARDÄR
Madien Sie die Auskunft dringend und kommen Sie
gleidi mit dem Beicheid.
SEKRETÄR
durdi die Tür links hinten ab.
MILLIARDÄR
fe^t fich in den Seffel, drückt auf das Signalbrett.
Die Diener laffen den Herrn in grau ein : von mächtigem Wuchs,
in weitem hellgrauen Anzug, deffen Tafchen mit Zeitungen und
Brofchüren vollgeftopft find. Runder roter Kopf, das Haar weg-
gefchoren. Sandalen.
DER HERR IN GRAU
nach den Dienern, die ihn in den Seffel weiterführen wollen,
mit der Reifemü^e fchlagend.
Langfam. Paufe. Atem holen. Da die Diener warten.
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Sorgen Sie draußen für Ruhe — idi nehme mir hier
Zeit. Gegen den Milliardär. Sie wird mir bewilligt werden.
Mit drei Worten halte idi Ihre Aufmerkfamkeit ge-
bannt. Zu den Dienern. Idi bin kein Raubtier.
Die Diener auf einen bezeichnenden Wink des Milliardärs ab.
MILLIARDÄR
Würden Sie —
DER HERR IN GRAU
fich umblickend.
Alfo dies ift der gelobte Raum — die Quelle des großen
Mitleids — das Heiligtum, von dem Liebe und Hilfe
ausgehen — Mit befchreibender Gebärde. Geldiwungenes
Rund — bedeutfame Form — »das heiße Herz der
Erde« 1
MILLIARDÄR
Äußern Sie je^t —
DER HERR IN GRAU
Eindrudtsvoll die Kahlheit: zwei SefTel — und Pla^
für Klagen und Jammerworte. Wunderlidi, daß die
Täfelung nidit nadigedunkelt ift von den Notfdireien,
die gegen fie anprallen.
MILLIARDÄR
taftet nach dem Signalbrett.
DER HERR IN GRAU
bemerkt es.
Sdiellen Sie nidit nadi den Dienern. Idi weiß es:
diefer »offene Donnerstag« ift koftbar für alle, die
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